von Maximilian Kretzschmar
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26. März 2025
Yascha Mounk wurde 1982 in München geboren und ist der Sohn einer polnischen Jüdin, die im Jahr 1969 aufgrund einer Säuberungswelle in der Kommunistischen Partei Polens mit ihren Eltern Polen verlassen musste. Mounk hat sich aus eigenen Erfahrungen mit Migration schon sehr früh mit dem Liberalismus und dem Ideal einer multiethnischen Gesellschaft befasst sowie deren Herausforderungen und Gefährdungen. Mounk studierte seit dem Jahr 2005 in den USA Regierungswissenschaft und erwarb den Ph.D.-Titel an der Harvard-Universität. Er lebt in New York und nahm im Jahr 2017 die amerikanische Staatsbürgerschaft an, um der Präsidentschaft von Donald Trump so besser entgegen treten zu können. Unabhängigkeit der Justiz Bereits vor fünf Jahren analysierte Mounk die Bedrohungen für liberale Demokratien durch Populismus, den Verlust des Vertrauens in Institutionen und die wachsende Polarisierung der Gesellschaft durch extreme Parteien. Mounk plädiert für die Unabhängigkeit der Justiz, so zum Beispiel unabhängige Ernennungsverfahren, bei denen die Auswahl und Ernennung von Richtern transparent und ohne direkten Einfluss der Exekutive oder Legislative erfolgen soll, z. B. durch unabhängige Kommissionen. Wichtig ist die finanzielle Autonomie der Justiz. Die Justiz sollte ein unabhängiges Budget haben, um ihre Funktionsfähigkeit zu garantieren und politischen Druck zu vermeiden. Karriereschutz für Richterinnen und Richter: Mechanismen zur Sicherstellung, dass Richter nicht durch politische Entscheidungen in ihrer Karriere behindert oder benachteiligt werden. Die Freiheit der Presse Yascha Mounk setzte sich mit dem Schutz und der Freiheit einer unabhängigen Presse auseinander. Gesetzlicher Schutz der Pressefreiheit: Gesetze sollten die freie Berichterstattung garantieren und den Einfluss staatlicher oder wirtschaftlicher Akteure begrenzen. Eine transparente Medienfinanzierung: Die Unabhängigkeit kann durch Förderprogramme unterstützt werden, die staatliche Gelder bereitstellen, aber klare Schutzmechanismen gegen politische Einflussnahme enthalten. Quellenschutz für Journalistinnen und Journalisten: Der rechtliche Schutz von Informanten ist essenziell, um investigativen Journalismus zu ermöglichen. Und schließlich ist die Förderung von Medienvielfalt wichtig: Die Unterstützung unabhängiger und lokaler Medien sowie der Abbau von Monopolen stärken den pluralistischen Informationsfluss. Auch mittlerweile sechs Jahre später hat Mounks Buch nichts von seiner Aktualität eingebüßt, nicht zuletzt wegen der gewonnenen zweiten Präsidentenwahl durch Donald Trump im Herbst 2024. Angesichts dessen fast täglich herausgegebenen Dekreten und dem gefährlichen Rückbau des Rechtsstaats durch Elon Musks DOGE (deutsch: Abteilung für Regierungseffizienz, offiziell U.S. DOGE Service Temporary Organization), welche die "Regierungseffizienz und -produktivität erhöhen soll" und staatliche IT-Systeme modernisieren soll. Yascha Mounks Empfehlungen zur Stärkung der Gewaltenteilung zeigen, dass diese wirksame Mittel des Rechtsstaates gegen autokratisches Macht-Gebaren wie von Trump praktiziert, beinhalten: Die Legislative und die Judikative müssen ihre Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive konsequent wahrnehmen. Gerichte können beispielsweise Dekrete blockieren, die gegen die Verfassung verstoßen, wie es bereits in einigen Fällen geschehen ist. Unabhängige Medien und Zivilgesellschaft: Eine freie Presse und aktive Bürgerbewegungen spielen eine Schlüsselrolle, um Missstände aufzudecken und öffentlichen Druck aufzubauen. Sie können dazu beitragen, Transparenz und Rechenschaftspflicht zu fördern. Rechtsstaatliche Checks and Balances: Institutionen wie der Kongress und unabhängige Behörden müssen ihre Befugnisse nutzen, um exekutive Übergriffe zu verhindern. Dies könnte durch verstärkte Aufsicht und Untersuchungsausschüsse geschehen. Demokratische Prozesse wie Wahlen und Proteste sind essenziell, um autokratische Tendenzen zu bekämpfen. Eine informierte und engagierte Wählerschaft kann Veränderungen herbeiführen. Bildung und Aufklärung, letztlich eine informierte Bevölkerung ist weniger anfällig für Propaganda. Bildungsprogramme und unabhängige Medien können helfen, kritisches Denken zu fördern.Der Druck durch internationale Aufmerksamkeit kann dazu beitragen, dass demokratische Standards eingehalten werden. Die Identitätsfalle Im Jahr 2024 erschien Yascha Mounks Buch "Im Zeitalter der Identität: Der Aufstieg einer gefährlichen Idee", mit welchem der Politologe sich keineswegs zum Trumpianer entwickelt hat, sondern seine grundlegende Frage formuliert, warum die Linke ihren Universalismus aufgegeben habe? Denn mit der Betonung von Gruppen-Identitäten, so argumentiert Mounk, wird nicht nur vormals marginalisierten Gruppen gesellschaftliches Gehör verschafft, sondern identitäres Denken verführe dazu, Spaltungen in der Gesellschaft zu vertiefen. Die Gefahr des Gruppendenkens, eine übermäßige Fixierung auf Gruppenidentität könne zu einer Art „wir gegen die anderen“-Mentalität führen, die die Einheit und Zusammenarbeit innerhalb der Gesellschaft gefährdet. Yascha Mounk plädiert hingegen für eine Rückkehr zu universellen Werten wie Gleichheit und Menschlichkeit, die alle Menschen miteinander verbinden, unabhängig von ethnischer, kultureller oder sozialer Herkunft. Kritik übt Yascha Mounk an Extrem-Positionen, konservativen und progressiven Polen, die sich seiner Meinung nach oft zu stark auf Identitätsmerkmale fixieren und dadurch den gesellschaftlichen Diskurs verengen. Er schlägt Ansätze vor, wie Gesellschaften eine Balance zwischen individueller Identität und gemeinsamen Werten finden können, ohne die Vorteile der Vielfalt zu verlieren. Mounk macht das an einer Vielzahl von Episoden und Beispielen aus sozialen Medien plastisch. Beispielsweise mit der Rassentrennung unter einem neuen Deckmantel: Er verweist auf Universitäten in den USA, die sogenannte „Safe Spaces“ schaffen, die nach ethnischen oder kulturellen Kriterien getrennt sind. Obwohl dies gut gemeint sein mag, sieht Mounk darin eine problematische Wiederbelebung der Trennung von Gruppen. Oder auch progressive versus konservative Ansätze. Mounk illustriert, wie sowohl progressive als auch konservative Lager gelegentlich extremistische Positionen einnehmen. Ein Beispiel ist die Verhärtung in Debatten über kulturelle Aneignung oder die Ablehnung von Diversitätsinitiativen. Beide Seiten könnten, so Mounk, von einem Dialog profitieren, der auf universellen Werten basiert. Stärkung demokratischer Werte Yascha Mounk zeigt positive Beispiele von Politikern und Bewegungen, die versuchen, über Gruppengrenzen hinweg universelle Werte wie Gleichheit und Würde zu fördern, etwa Kampagnen für Bürgerrechte oder interkulturelle Dialoginitiativen. Yascha Mounk schlägt vor, den Nationalismus durch einen inklusiven Patriotismus zu zähmen. Er argumentiert, dass es wichtig ist, eine gemeinsame Identität zu fördern, die alle Bürger unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft einschließt. Durch die Förderung von kritischem Denken kann Bildung Menschen dazu befähigen, nationalistische Ideologien kritisch zu hinterfragen und sich gegen Propaganda oder extremistische Ansichten zu wehren. Historische Aufklärung kann helfen, die Geschichte des Nationalismus und seine Auswirkungen – sowohl positive als auch negative – zu verstehen. Dies kann dazu beitragen, aus der Vergangenheit zu lernen und extreme Formen des Nationalismus zu vermeiden. Durch die Einbindung von Themen wie kulturelle Vielfalt, Geschichte und globale Perspektiven können Bildungssysteme ein Bewusstsein für die Bedeutung von Inklusion und gegenseitigem Respekt schaffen. Und schließlich kann eine gemeinsame Identität gefördert werden: Bildung kann dazu beitragen, eine inklusive nationale Identität zu schaffen, die auf gemeinsamen Werten und Zielen basiert, anstatt auf ethnischen oder kulturellen Unterschieden. Indem Bildung demokratische Prinzipien wie Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit betont, kann sie dazu beitragen, Nationalismus in eine konstruktive Richtung zu lenken. Macht und Diskurs nach Michel Foucault Doch zurück zur Identitätssynthese und deren Geschichte. Yascha Mounk diskutiert Michel Foucaults Einfluss auf die moderne Identitätspolitik und betont dessen zentrale Ideen über Macht und Diskurs. Foucaults Konzept, dass Macht nicht nur repressiv, sondern auch produktiv ist, hat die Art und Weise geprägt, wie soziale Strukturen und Identitäten heute verstanden werden. Mounk hebt hervor, dass Foucaults Skepsis gegenüber universellen Wahrheiten und großen Narrativen eine Grundlage für viele der heutigen Debatten über Identität und Macht bietet. Foucault kritisierte die Idee stabiler und essenzieller Identitäten, da er Identität als ein Produkt von Macht- und Diskursstrukturen betrachtete. Für ihn war Identität nicht etwas Festes, sondern etwas, das durch gesellschaftliche Praktiken und Diskurse ständig neu geformt wird. Er argumentierte, dass der Fokus auf Identität oft dazu führen kann, dass Machtverhältnisse und die Mechanismen, die Identitäten formen, übersehen werden. Stattdessen plädierte er für eine kritische Reflexion, die die Prozesse der Subjektivierung und die Rolle von Macht in der Konstruktion von Identitäten hinterfragt. Ausführlich diskutiert Yascha Mounk Widersprüche innerhalb der Ansätze der Identitätssynthese, wie beispielsweise des strukturellen Rassismus, der dauerhaft und unüberwindbar sei und die Standpunkttheorie, die vorgibt, Mitglieder einer Identitätsgruppe könnten die Mitglieder einer anderen Gruppe nicht verstehen oder auch die Intersektionalität, 1989 durch Kimberlé Crenshaw als Ansatz entwickelt, die mehrere überschneidende Kategorien postulierte, aber schließlich doch in der verstärkenden Bedeutung der Opferrolle verharrte. Crenshaw argumentierte, dass diese Diskriminierungen nicht isoliert betrachtet werden können, sondern sich gegenseitig verstärken und komplexe Ungleichheiten schaffen. Karl Marx und die Differenz (zur Identitätssynthese) Yascha Mounk hebt hervor, dass Marxismus und die heutige Identitätspolitik unterschiedliche Ansätze verfolgen. Während Marx sich auf universelle Prinzipien und die Überwindung von Klassenunterschieden konzentrierte, betont die Identitätspolitik oft spezifische Gruppenidentitäten und deren Rechte. Mounk argumentiert, dass diese Fokussierung auf Identitäten manchmal die universellen Werte von Gleichheit und Freiheit untergräbt. Die Identitätssynthese unterscheidet sich grundlegend vom Marxismus, da sie sich auf Gruppenidentitäten wie Geschlecht, Ethnie oder sexuelle Orientierung konzentriert, während der Marxismus den zentralen Konflikt zwischen den Klassen – Arbeiterklasse und Kapitalbesitzer – in den Vordergrund stellt. Die Marxistische Theorie sieht die ökonomischen Verhältnisse als Hauptursache für soziale Ungleichheit und Unterdrückung, während die Identitätssynthese oft kulturelle und soziale Faktoren betont. Ein weiterer Unterschied liegt in der Herangehensweise: Der Marxismus strebt eine universelle Lösung für die Befreiung aller unterdrückten Klassen an, während die Identitätssynthese spezifische Anliegen hervorhebt. Diese unterschiedlichen Perspektiven führen zu einer Trennung zwischen den beiden Ansätzen. Marxistische Kritiker der Identitätssynthese argumentieren oft, dass der Fokus auf Gruppenidentitäten wie Ethnie, Geschlecht oder sexuelle Orientierung von den zentralen ökonomischen Konflikten und Klassenkämpfen ablenkt, die im Marxismus im Vordergrund stehen. Sie sehen die Identitätssynthese als eine Form von kulturellem oder ideologischem Kampf, der die Aufmerksamkeit von der materiellen Basis der Gesellschaft und den Produktionsverhältnissen weglenkt. Zu nennen sind beispielsweise Slavoj Žižek und Vivek Chibber. Žižek kritisiert, dass Identitätspolitik oft zu einer Fragmentierung der Arbeiterklasse führt, während Chibber in seinem Buch "Postcolonial Theory and the Specter of Capital" argumentiert, dass postkoloniale und identitätspolitische Ansätze die universellen Prinzipien des Marxismus untergraben. Zum Schluss: Mounks Definition des Liberalismus Liberalismus beruht auf der Ablehnung einer natürlichen Hierarchie. Liberale glauben nicht, dass Menschen Dank ihrer vornehmen Geburt oder ihrer angeblichen spirituellen Erleuchtung das Recht haben, über andere zu herrschen, sondern sind der Überzeugung, dass wir alle gleich geboren sind. Deshalb bestehen wir auf Institutionen, die es uns erlauben, die Regeln, denen wir gehorchen müssen, selbst zu bestimmen. Diese Regeln müssen jedem von uns die Freiheit zugestehen, nach eigenen Überzeugungen zu leben und Mitgliedern aller Identitätsgruppen versichern, dass die Behandlung, die sie vom Staat erfahren nicht von ihrer Geschlechtsidentität, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Hautfarbe abhängig ist. Yascha Mounk Mounk, Yascha. Der Zerfall der Demokratie: Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht. Droemer eBook. Kindle-Version. April 2019 Mounk, Yascha: Im Zeitalter der Identität: Der Aufstieg einer gefährlichen Idee. © 2024 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung